Was ist Neurodiversität?
Der Begriff Neurodiversität spiegelt die natürliche Vielfalt an Funktionsweisen des menschlichen Gehirns und Nervensystems wider. Dadurch wird anerkannt, dass Unterschiede im
Denken, Lernen und Verhalten ein Teil der natürlichen menschlichen Variation sind.
Es wird von Neurodivergenz gesprochen, wenn bestimmte Gehirnfunktionen eines Menschen deutlich anders arbeiten als die der Menschen im überwiegenden Teil der Gesellschaft (diese
werden als „neurotypisch“ bezeichnet). Solche Gehirnfunktionen sind z.B. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denkweise, Interessen, Sprache und Motorik. Besonders kennzeichnend sind hier Unterschieden
in der Wahrnehmung, was oft als Reizfilterschwäche bezeichnet wird. Dies führt häufig zu Veränderungen im sogenannten „sensorischen Profil“. Für neurodivergente Menschen ist es teilweise nicht
möglich oder es kostet viel Energie (durch den Einsatz von Maskierungs- oder Anpassungsstrategien), Dinge so zu tun, wie neurotypische Menschen sie in der Regel tun. Das kann erhebliche Folgen
für die psychische Gesundheit haben.
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen verschiedenen Formen der Neurodivergenz, die alleine oder kombiniert bei Menschen auftreten können. Zu diesen Neuroatypien zählen unter anderem:
- Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S)
- die Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
- Hochsensibilität
- Dyskalkulie
- Dyslexie
- Tourette-Syndrom
- Hochbegabung
Während Neurodivergenz in einigen Lebensbereichen zu Herausforderungen führen kann, gibt es auch viele Stärken, die neurodivergente Menschen auszeichnen und sie zu ressourcenreichen Personen
machen. Formen der Neurodivergenz werden mittlerweile durch den Großteil der in diesem Bereich forschenden und arbeitenden Fachleute nicht mehr als „Störung“, sondern als Teil der natürlichen
Vielfalt betrachtet, und das Potenzial der daraus entstehenden Stärken wird mehr in den Fokus gerückt. Trotzdem können individuelle neurologische Besonderheiten in bestimmten Kontexten zu
Leidensdruck führen und als störungswertig empfunden werden. Dies ist häufig der Fall, wenn äußere neurotypische Anforderungen nicht mit der neurodivergenten Funktionsweise vereinbar sind.
Wie läuft eine Diagnostik in unserer Praxis ab?
Das diagnostische Vorgehen in unserer Praxis orientiert sich an den S3-Leitlinien zu AD(H)S und ASS der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und dem
aktuellen Wissensstand der Forschung.
Die Diagnostik erfolgt über mehrere Termine, um ein umfassendes Bild der Symptomatik und des Verhaltens zu erheben. Das bedeutet, dass der Prozess voraussichtlich einige Wochen dauert. Er dient
dazu, festzustellen, ob eine AD(H)S oder ASS vorliegt und andere mögliche Ursachen auszuschließen, sodass gezielte Unterstützung, falls benötigt, erfolgen kann.
Zunächst findet eine Erstgespräch statt, in dem Sie von Ihren Erfahrungen und aktuellen Beeinträchtigungen berichten können. Hier wird auch eine erste Einschätzung getroffen, ob ein Verdacht auf
AD(H)S und/oder ASS vorliegt, und der Ablauf der individuellen Diagnostik wird mit Ihnen besprochen.
Im Anschluss werden standardisierte Fragebögen und Interviews eingesetzt, um typische Merkmale von AD(H)S und ASS zu erheben. Teilweise wird bei der Datenerhebung, falls verfügbar, eine
Bezugsperson beteiligt, die Sie im Kindesalter erlebt hat (z.B. Elternteil oder Geschwisterkind). Die Teilnahme einer Bezugsperson ist hilfreich, aber keine notwendige Voraussetzung für die
Diagnostik. Auch eine somatische Abklärung ist Teil des diagnostischen Vorgehens. Diese erfolgt durch Ihre neurologische oder Hausarzt- Praxis.
Die gesammelten Daten werden anschließend von uns ausgewertet und in einem Befundbericht zusammengefasst. Zum Abschluss findet ein Gespräch statt, in dem die Diagnose erläutert sowie Therapie-
und Unterstützungsmöglichkeit besprochen werden. Sie erhalten schließlich einen Kurzbefund sowie einen ausführlichen Befundbericht.
Es besteht die Möglichkeit, dass bei Ihnen keine eindeutige AD(H)S oder ASS Symptomatik festgestellt werden kann. Hinweise darauf werden frühzeitig im diagnostischen Prozess besprochen, sodass
mögliche Ursachen gemeinsam erörtert werden und Entscheidungen bezüglich der nächsten Schritte getroffen werden können. In diesem Fall bedeutet es nicht, dass die Symptome weniger ernst zu nehmen
sind. Sie könnten aber an einer anderen Ursache liegen, die durch weitere Untersuchungen abgeklärt werden sollte.